Gute Zeiten - Schlechte Zeiten
Das "Wie war's?" kann ich mir wohl schenken, meinte angesichts meiner guten Laune der Nachbar, der mir über das lange Pfingstwochenende der Hüter meines Briefkastens gewesen war und die drei für mich bestimmten Briefe ganz tief unter einem dicken Zeitungsstapel vergraben hatte. "Erraten" grinste ich und gab ihm eine kurze speziell für die Ohren neugieriger Nachbarn selektierte Zusammenfassung meiner Erlebnisse. Einschließlich der Geschichte auf der Yorkstraße, denn die hatte sich am hellichten Tag ereignet und bot sich somit als ideales Futter für den allfälligen Tratsch der umliegenden Nachbarn an.
Wieder zurück in den eigenen vier Wänden wollte ich an diesem Abend eigentlich noch einen Text über jenen Tag schreiben, an dem ich auf der Yorkstraße Walzer tanzte. Doch es kam anders. Noch während mein Mobile mir ihre Anrufmelodie vorspielte, geisterte ein fragendes "Nanu?" durch meinen Kopf. Dieser Anruf konnte nur von zwei Personen kommen, die ich zu den liebsten meiner Freunde zähle. Die männliche dieser beiden befindet sich gerade am anderen Ende dieses Universums und von der weiblichen hatte ich mich erst vor drei Tagen in ein langes Wochenende verabschiedet. Aber sie war es trotzdem. Und sie rief mich nicht etwa an, weil sie so brennend gespannt war zu hören, was ich zwischenzeitlich erlebt hatte. Gespannt war sie allerdings. Besser gesagt, sie war total angespannt. So überdreht wie an diesem Abend klang ihre Stimme bislang noch nie und es dauerte auch nicht lange, bis sie auf den Anlaß ihres Anrufs zu sprechen kam.
"Nach unserem letzten Gespräch hatte ich so ein doofes Gefühl im Bauch" begann sie.
"Warum denn das?" fragte ich zurück.
"A., Du hast da so eine Bemerkung gemacht .. Frauen sehen die Dinge ja manchmal anders, hast Du gesagt."
"Ja, das ist doch auch so. Oder täusche ich mich darin?"
"Ich habe mich anschließend gefragt, ob Du es überhaupt weißt. Oder ob R. Dir davon noch gar nichts erzählt hat." druckste sie herum.
"Wovon sprichst Du? Ich habe nicht die leiseste Idee, was Du meinst."
Nach einer kurzen Pause klärte sie mich auf.
"R. und ich haben uns getrennt .."
Nun war es an mir, tief Luft zu holen, sehr tief. "Nicht auch ihr!"
"Doch, A., wir auch."
Wir redeten lange, über Hoffnungen, über Enttäuschungen, über ihre und über meine. Und je länger wir redeten, je tiefer wir in die Motive, in die Einzelheiten einstiegen, desdo schwerer wurden der Knödel in meinem Hals und das Gefühl dieser Faust, die sich mir in den Magen rammte. Bei ihr hingegen schien sich ein Tor der Erleichterung zu öffnen. Die Worte sprudelten förmlich über ihre Lippen in mein Ohr, so daß ich nicht einmal dazu kam, ihr zu sagen, daß ich mir aufgrund gewisser Beobachtungen in der letzten Zeit bereits Gedanken über die Beiden gemacht hatte. "W., ich muß das alles jetzt erst einmal verdauen." beendete ich schließlich unser Gespräch, als mich der Knödel endgültig zu ersticken drohte. "Ich möchte aber tatsächlich wissen, wie Frauen manche Dinge sehen. Verrätst Du es mir? Ich rufe Dich morgen wieder an, ok?." "Ja, A., ist gut. Gegen Acht wäre eine gute Zeit."
Über den Tag, an dem ich auf der Yorkstraße Walzer tanzte, mochte ich an diesem Abend nicht mehr schreiben.
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